Pferdefleischskandal: Erster Verdacht in Deutschland
Aus unseren Nachrichten:
"Im Skandal um nicht deklariertes Pferdefleisch gibt es einen ersten Verdachtsfall in Deutschland. Das nordrhein-westfälische Verbraucherschutzministerium teilte in Düsseldorf mit, die Auswertung erster Unterlagen habe ergeben, dass über einen Zwischenhändler in Luxemburg Produkte nach Deutschland geliefert worden seien, die im Verdacht stünden, falsch deklariert zu sein. Den Angaben zufolge handelt es sich um ein Lasagne-Fertiggericht. In Brüssel beraten am Nachmittag mehrere europäische Agrarminister über den Pferdefleischskandal."
(Deutschlandfunk)
------
Pferdefleisch auch in "Edeka"-Lasagne gefunden
Berlin / Brüssel. Auch die Einzelhandelskette "Edeka" ist bei der Suche nach Pferdefleisch in Fertiggerichten fündig geworden. In dem Tiefkühl-Produkt "Gut & Günstig Lasagne Bolognese" seien bei Analysen in einzelnen Stichproben geringe Mengen Pferdefleisch gefunden worden, sagte ein Edeka-Sprecher am Donnerstag in Hamburg.
Der Artikel sei schon am Dienstag vorsorglich aus dem Verkauf genommen worden, nachdem der Lieferant eine mögliche Beimischung von Pferdefleisch nicht ausschließen konnte. Die beigemischte Menge liege bei einem bis fünf Prozent.
DNA-Tests an vermeintlichem Rindfleisch
Die EU-Kommission will verarbeitetes Rindfleisch per DNA-Test kontrollieren lassen. Bereits am Freitag sollen Experten aus allen 27 EU-Staaten über den Vorschlag aus Brüssel entscheiden. Derweil hatte die Supermarktkette "Real" am Mittwoch eine Tiefkühl-Lasagne zurückgerufen, nachdem bei einzelnen Stichproben Anteile von Pferdefleisch gefunden worden waren. Und auch andere Unternehmen wie Kaiser's Tengelmann, Rewe, Edeka und Eismann überprüfen verdächtige Produkte.
Die EU-Kommission will mit den DNA-Tests wirksamer gegen falsch deklariertes Fleisch vorgehen. Die ersten 2500 Gentests könnten den Plänen zufolge im März stattfinden, etwa 200 davon in Deutschland, teilte EU-Verbraucherkommissar Tonio Borg am Mittwoch nach einem Krisentreffen von acht beteiligten Staaten in Brüssel mit. Ergebnisse sollen Borg zufolge Mitte April veröffentlicht werden. Insbesondere Irland und Großbritannien hatten auf Genuntersuchungen gedrängt.
"Diese Maßnahme erfolgt rein vorsorglich"
In Deutschland standen am Mittwoch insgesamt sechs Unternehmen auf der Kontroll-Liste der Behörden. Aus der Auswertung der Lieferlisten ergebe sich, dass zwischen November 2012 und Januar 2013 über einen Zwischenhändler verdächtige Produkte in größerem Umfang nach Deutschland gekommen seien, erklärte Verbraucherminister Johannes Remmel (Grüne) aus Nordrhein-Westfalen.
Die Metro-Tochter "Real" rief dann am Abend das Produkt "TiP Lasagne Bolognese, 400g, tiefgekühlt" zurück. "Diese Maßnahme erfolgt rein vorsorglich, da zu keinem Zeitpunkt ein Hinweis auf ein gesundheitliches Risiko für Verbraucher bestand", hieß es. Bereits am vergangenen Freitag hatte das Unternehmen als reine Vorsichtsmaßnahme nach einem Hinweis des Herstellers das Produkt aus dem Verkauf genommen. In den vergangenen Wochen waren in mehreren Ländern der EU Fertiggerichte entdeckt worden, in denen statt des angegebenen Rindfleischs auch oder ausschließlich Pferdefleisch verarbeitet worden war.
Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) nannte als Rindfleisch deklariertes Pferdefleisch einen "krassen und schlimmen Fall von Verbrauchertäuschung". Um sicherzustellen, dass Verbraucher mit dem Fleisch keine Pferdemedikamente zu sich nehmen, will die EU-Kommission eine weitere Testreihe vorschlagen. Dabei sollen die Behörden Pferdefleisch auf mögliche Rückstände des Medikaments Phenylbutazon untersuchen. Das Mittel wird bei Pferden gegen Entzündungen eingesetzt. Es gilt auch als Doping-Mittel im Pferdesport. 1500 in die EU eingeführte Pferdekadaver sollten untersucht werden, zudem 2500 in Europa geschlachtete Tiere. Die Europäer verspeisen nach Angaben der EU-Kommission wissentlich jährlich 110.000 Tonnen Pferd, 70.000 Tonnen davon aus heimischer Zucht.
14. Februar 2013 | 14:18 Uhr | Von dpa
------
Pferdefleisch-Skandal
Erster Verdachtsfall in Deutschland!
Es begann in Großbritannien, wo Tausende Briten ahnungslos Pferdefleisch aßen, dann zog der Lebensmittel-Skandal immer weitere Kreise – und hat jetzt womöglich auch Deutschland erreicht!
Nach Angaben des Bundesverbraucherministeriums gibt es jetzt einen ersten Verdachtsfall in Deutschland.
Über das europäische Schnellwarnsystem seien die deutschen Behörden am Dienstagabend aus Luxemburg über den Verdacht informiert worden, dass falsch deklarierte Lebensmittel nach Deutschland gelangt seien, sagte eine Ministeriumssprecherin am Mittwoch in Berlin. Demnach handele es sich um verarbeitete Lasagne, die an mindestens einen Händler in Nordrhein-Westfalen (NRW) geliefert worden sei. Es sei nicht auszuschließen, dass weitere Händler oder Produkte betroffen seien.
Die Überwachungsbehörden in NRW prüften derzeit, ob alle Produkte vom Markt genommen worden seien, sagte die Sprecherin. Sie verwies darauf, dass bei bisherigen amtlichen Untersuchungen alle Proben negativ gewesen seien. Wegen des Verdachtsfalls werde Deutschland am Mittwochabend auch an einem EU-Informationstreffen in Brüssel zu dem Skandal teilnehmen. Davon würden weitere Klärungen erwartet.
Die Supermarktkette Kaiser's Tengelmann hatte schon am Mittwoch vergangener Woche die Tiefkühl-Lasagnen seiner Eigenmarke A&P aus dem Verkauf genommen, „aus Gründen des vorsorgenden Verbraucherschutzes”, wie eine Sprecherin bestätigte.
Dabei gab es aber keinen Nachweis, dass tatsächlich Pferdefleisch verarbeitet wurde, sagte die Sprecherin weiter. Dies müssten laufende Analysen ergeben.
Rinder-Lasagne aus 100 Prozent Pferdefleisch
Der Tiefkühlkonzern Findus hatte zuvor mehrere Tiefkühlgerichte in Großbritannien, Frankreich und Schweden vom Markt genommen. In Großbritannien hatten Tests zuvor ergeben, dass tiefgefrorene Lasagne bis zu 100 Prozent Pferdefleisch im Fleischanteil enthielt und nicht das auf der Verpackung angegebene Rindfleisch.
Der Findus-Lieferant, der französische Produzent Comigel, hatte das Fleisch von einem Betrieb aus Frankreich erhalten, der dieses nach eigenen Angaben aus Rumänien bezog.
Begonnen hatte der Fall Mitte Januar mit dem Fund von Pferdefleisch-Spuren in Produkten in Irland.
Der britische Umweltminister Owen Paterson vermutet eine internationale kriminelle Verschwörung. Das Fleisch soll aus Rumänien kommen.
Es soll sich vor allem um illegal gefangene Wildpferde handeln, von denen es im rumänischen Donaudelta Tausende gibt, berichtet „The Sun“. Kriminelle Banden sollen die Tiere in die Fleischfabriken gebracht haben – unter abscheulichen Bedingungen. Die Pferde sollen beim Transport schwer misshandelt worden sein.
Die britische Lebensmittel-Aufsichtsbehörde FSA warnte davor, die falsch deklarierten Pferdefleisch-Produkte zu essen. Zwar bestehe nach derzeitigem Stand keine Gesundheitsgefahr. Das Fleisch werde aber auf mögliche Überreste von Medikamenten geprüft. Dabei geht es um das Veterinärmedikament Phenylbutazon. Damit behandelte Tiere dürfen nicht zu Lebensmitteln verarbeitet werden. Bei Pferden wird es häufig eingesetzt.
Jetzt schiebt jeder die Schuld auf den anderen!
Der Chef des rumänischen Lebensmittelverbands, Dragos Frumoso, sagte, es sei angesichts von Kontrollen schwer vorstellbar, dass ein rumänisches Schlachthaus Pferdefleisch falsch als Rindfleisch deklariert habe. Es sei zudem Aufgabe des französischen Importeurs, die Qualität des Fleischs zu überprüfen. Wenn dieser dann keine Einwände vorbringe, sei er entweder ein „Komplize” oder habe selbst das Fleisch umetikettiert.
Nach Angaben der rumänischen Lebensmittelindustrie verarbeiten drei große Schlachthöfe in Rumänien Pferdefleisch und liefern einen Großteil davon ins Ausland – unter anderem nach Frankreich und Italien. Rumäniens Landwirtschaftsminister Daniel Constantin hat eine Untersuchung verdächtiger Schlachthöfe angeordnet.
Für den französischen Präsidenten François Hollande ist der Skandal um als Rind ausgezeichnetes Pferdefleisch ein „ernste Angelegenheit“, er berief ein Krisentreffen ein. Für französische Lebensmittelhersteller sehe Hollande möglicherweise schwerwiegende Folgen, berichtete Regierungssprecherin Najat Vallaud-Belkacem am Mittwoch in Paris nach der Sitzung des Kabinetts. Hollande habe die Pläne der zuständigen Minister begrüßt, bei entsprechenden Ergebnissen der Untersuchungen Sanktionen gegen die Verantwortlichen zu verhängen.
Am Dienstag hatte die Staatsanwaltschaft in Paris ein Vorverfahren wegen Betrugs eingeleitet. Die Ermittlungen wurden in die Hände der französischen Verbraucherschutzbehörde DGCCRF gelegt. Diese hatte bereits am Montag betroffene Unternehmen in Frankreich untersucht.
In Großbritannien und Deutschland ist Pferdefleisch zwar nicht verboten, aber kaum verbreitet. Es wird nur selten angeboten. In anderen europäischen Ländern ist Pferdefleisch populärer: So essen Italiener durchschnittlich etwa 900 Gramm jährlich, in Deutschland liegt der statistische Pro-Kopf-Verbrauch nur bei 50 Gramm pro Jahr, tatsächlich essen die meisten gar keins.
(Bild.de)
----
Verdächtige Tiefkühlprodukte: Pferdefleisch-Skandal erreicht Deutschland
Pferdefleisch-Verarbeitung in Rumänien:
Lasagne-Lieferung nach Deutschland
Der Skandal um falsch deklarierte Fleischprodukte erreicht Deutschland: Nach Angaben des Verbraucherministeriums in NRW gibt es erstmals Belege, dass zwischen November und Januar Tiefkühlprodukte in die Bundesrepublik gelangt sind, die möglicherweise Pferdehack enthalten.
Berlin - Im Pferdefleisch-Skandal gibt es einen ersten Verdacht in Deutschland. Das teilte ein Sprecher des Verbraucherministeriums in Nordrhein-Westfalen auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE mit. Demnach hat die Behörde am Dienstagabend erstmals Lieferlisten von der EU bekommen, aus denen klar hervorgehe, dass größere Mengen Tiefkühlprodukte in die Bundesrepublik geliefert worden sind, die falsch deklarierte Fleischprodukte enthalten könnten.
Die Lieferungen fanden demnach zwischen November 2012 und Januar 2013 statt. Ein Unternehmen aus Luxemburg und eine Firma aus Frankreich könnten falsch deklariertes Fleisch geliefert haben. Die verdächtigen Tiefkühlprodukte, unter anderem Lasagne, seien nicht nur nach Nordrhein-Westfalen gelangt, sondern auch in andere Regionen der Bundesrepublik. Sie seien nicht nur an Supermarktketten und Discounter geliefert worden, sondern auch an andere Lebensmittelunternehmen, die mit Tiefkühlprodukten handeln.
Das Landesumweltamt überprüfe nun die betroffenen Betriebe. Ob die betroffenen Tiefkühlprodukte tatsächlich Pferdefleisch enthalten, könne nur ein DNA-Test bestätigen. Die Ergebnisse erwarte man in drei bis fünf Tagen. Bei bisherigen amtlichen Untersuchungen waren die Proben stets negativ gewesen.
Am Montag hatte SPIEGEL ONLINE berichtet, dass der Lebensmitteldiscounter Kaiser'sTengelmann wegen Pferdefleischverdacht seine Tiefkühllasagne aus den Regalen genommen hat. "Aus vorsorgendem Verbraucherschutz", wie das Unternehmen betonte. Einen Nachweis, dass Pferdefleisch in der Lasagne verarbeitet wurde, gibt es nicht; das Produkt wird noch untersucht. Auch die Supermarktkette Real nahm einzelne Fertiggerichte vom Markt.
Das Fleisch läuft über mehrere Zwischenhändler
In den vergangenen Wochen waren in zahlreichen Ländern der EU Fertiggerichte entdeckt worden, in denen statt des angegebenen Rindfleischs auch Pferdefleisch verarbeitet worden war. Kernproblem des Skandals ist, dass das Fleisch über mehrere Zwischenhändler läuft, von denen jeder schummeln kann. Bessere Regeln im EU-Binnenmarkt könnten dieses Problem beheben.
Verbraucherministerin Ilse Aigner hat die Missstände scharf kritisiert. "Verbrauchertäuschung ist verboten", sagte die CSU-Politikerin.
Britische Behörden versprachen nach dem Fund von Pferdefleisch bei zwei Verarbeitungsbetrieben in England und Wales die restlose Aufklärung des Skandals. Der Betreiber eines Schlachthofs in Nordengland steht dort unter dem Verdacht, geschlachtete Pferde an einen Betrieb in Wales weitergegeben zu haben. Das Fleisch wurde vermutlich zu Burger-Frikadellen und Kebabs verarbeitet und als Rind verkauft.
In Großbritannien stößt der Skandal auf geteilte Reaktionen. Einerseits ist die Empörung groß. Andererseits melden britische Spezialfleischlieferanten einen rapiden Anstieg bei der Nachfrage nach Pferdefleisch, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Offenbar sind viele Verbraucher neugierig geworden - und wollen einmal ausprobieren, wie Pferdefleisch überhaupt schmeckt.
Stefan Schultz auf Twitter folgen:
ssu
(Spiegel online Wirtschaft)
---
"Wildpferde" aus dem Rumänischen DonauDelta
Europa: Rumänien Donaudelta
Wildnis zwischen Steppe und Meer
Sendung vom Samstag, 26.11.2011 | 13.50 Uhr | SWR Fernsehen
Der Blick vom Hochufer ist überwältigend. Flache Lagunen und wilde Wälder aus schwankendem Schilf soweit das Auge reicht, durchzogen von einem Labyrinth aus zahllosen, glitzernden Wasserläufen.
Knorrige Silberweiden säumen die Ufer, dann wiederum gibt es klare, krautreiche Seen mit bunten Blumenteppichen und lautstarkem Froschkonzert. Es ist eine schier endlos erscheinende Wildnis aus Wasser und Land.
Die Grenze zwischen Wasser und Land verschwimmt im Delta
Keine einzige Straße führt ins Donaudelta.. Die Region gehört zu den abgelegensten Europas. Weitab von Städten finden sich verträumte Dörfer, in denen die Zeit still zu stehen scheint. Wer dort leben will, muss mit dem auskommen, was die Natur bietet. Doch deren Lebensfülle ist überwältigend. Das Delta gehört zu den fischreichsten Landschaften Europas und nur hier gehen noch große Schwärme von Pelikanen auf die Jagd.
Naturdenkmal: Donaudelta: Biosphärenreservat Donaudelta. Zweitlängster Fluss Europas; entspringt im Schwarzwald und durchquert 9 weitere Länder bis sie in einem ausgedehnten Delta in das Schwarze Meer mündet.
Unesco-Ernennung: 1991
Flora und Fauna:
Das Donaudelta beherbergt über 4000 Tier- und über 1000 Pflanzenarten. Allein 300 Vogel- und 45 Fischarten haben hier ihren Lebensraum - auch bedrohte Arten wie die Rothalsgans, der Zwergkormoran oder der große Beluga-Stör.Im 5000 km² großen Donaudelta verästelt sich der Hauptstrom in unzählige Nebenarme. Europas größtes Feuchtgebiet besteht aus Röhrichten, Inseln und Seen, aber auch aus Trockenbiotopen auf Dünen und Galeriewälder aus Eichen, Weiden und Pappeln.
Copyrightvermerk für Daten & Fakten
© Chronik Verlag im Bertelsmann Lexikon Verlag GmbH Gütersloh/München 2000 - 2011
Ein Film von Thomas Willers und Heidi Engelhardt
http://www.swr.de/schaetze-der-welt/schaetze-der-welt-welterbe-donaudelta/-/id=5355190/nid=5355190/did=7180562/k700b0/
Donaudelta in Rumänien: Bullerbü auf Hartz IV
Von Françoise Hauser
Abgelegener geht's kaum in Europa: Touristen erleben auf einer Bootstour im Donaudelta die Einsamkeit und Schönheit der rumänischen Wildnis. Doch für die Bevölkerung der wenigen Dörfer ist das Leben ein Kampf - gegen Arbeitslosigkeit und Naturgewalten.
Mit einer schnellen Handbewegung verdeckt der Wirt der Pension Delia gut ein Viertel des Donaudeltas auf der Landkarte. "Da oben geht nichts, das ist die Ukraine. Na ja, eigentlich gehört das uns, aber die Gauner haben uns Bessarabien ja gestohlen. Verbrecher, alle", murmelt er. Der Rest: kein Problem, politisch wie organisatorisch. "Was wollt ihr – fischen? Vögel beobachten? Pelikane? Kann ich alles ab Crisan organisieren." Und damit hat er erst einmal recht: Der Weiler liegt mitten in der 5000 Quadratkilometer großen Wasserfläche des Donaudeltas, rund drei Bootsstunden von der nächsten Stadt Tulcea entfernt.
Straßen gibt es keine. Wie auch, steht doch Crisan auf einem der wenigen "Grinduri", den festen Landmassen, die überhaupt bebaubar sind. Drumherum: Wildnis. Kurz hinter Tulcea teilt sich die Donau in drei große Arme, die durch zahllose Seitenarme und Seen verbunden sind. Wäre der Titel "letzter Urwald" Europas nicht schon an Dutzende andere Lokalitäten vergeben, hier würde er passen. Denn das Donaudelta sammelt Auszeichnungen und Superlative wie ein Spitzensportler. Das größte Feuchtgebiet Europas, das größte zusammenhängende Schilfgebiet der Welt, seit 1991 Unesco-Weltnaturerbe und Biosphärenreservat – und natürlich das zweitgrößte Delta Europas. Nur die Wolga kann der Donau sprichwörtlich das Wasser reichen. Wer diese Welt entdecken will, braucht ein Boot. Das hat der Wirt selbstverständlich parat.
Kein festes Land in Sicht
Wenig später tuckert der kleine Außenborder samt ortskundigem Bootsführer Florin durch die Lianen-verhangenen Kanäle, über mäandernden Flüsschen, durch Schilfgestrüpp und über den Altarm des Donauhauptkanals Braul Sulina. Die Passagiere haben immer die spannend-schöne Gewissheit: So abgelegen ist die Route, fiele der Bootsmann ins Wasser, die Rückkehr wäre ungewiss.
Denn mit dem simplen Wort "Feuchtgebiet" lässt sich das Donaudelta kaum in Worte fassen. Hier gibt es Seen bis zum Horizont und Bootstouren, auf denen der Reisende über Stunden, ja manchmal sogar Tage keiner Menschenseele begegnet. In der Hochsaison wohlgemerkt.
Selbst die Einheimischen müssen sich im Labyrinth des Schilfs immer wieder überraschen lassen: War da nicht gestern noch ein kleiner Kanal zum See? Eine Insel? Was auf den ersten Blick wie Festland erscheint, ist meist nur eine schwimmende Verbindung aus Farnen, Schilf und Modermasse, die sich mit jeder Bugwelle hebt und senkt. Durch die Gärung des Untergrunds entstehen enorme Massen von Faulgas, die Hektar-große Dickichtflächen abreißen und an die Wasseroberfläche tragen.
Keine andere Region Europas hat eine so niedrige Bevölkerungsdichte wie die schwimmende Welt des Deltas. Um die 15.000 Zähe, Unermüdliche sind es, die sich von eisigen, feuchten Wintern mit klirrend kalten Steppenwinden, der totalen Einsamkeit und den nicht existierenden Ablenkungsmöglichkeiten nicht abschrecken lassen. Und der Arbeitslosigkeit. Wer nicht Fischer wird oder einen der raren Verwaltungsposten erwischt, hat kaum eine Chance auf ein geregeltes Auskommen im Delta. Auch für den Fremdenführer Florin ist das ein echtes Problem. Was er außerhalb der Saison macht? Schulterzucken – Gelegenheitsjobs eben. Wenn er trotzdem bleibt, dann weil ihn die Weite des Deltas nicht loslässt.
In dieser Wildnis erscheint das Dorf Mila 23 (der Name bedeutet schlicht, dass die Siedlung an der 23. Donau-Meile ab Mündung liegt) fast schon urban. Ernst, ja fast ein wenig traurig blickt Lady Di von einem Poster über die leeren Tische der Bar an der Anlegestelle. Rumänische Schlager plärren in der Mittagshitze, ein Deckenventilator quirlt die warme Luft.
Die Kundschaft will freilich nicht so recht ins Rumänien-Klischee passen: Die Männer sind blauäugig und nicht selten rothaarig, auf den Stufen der Terrasse spielen strohblonde Mädchen mit Zöpfen. Wie überall im Delta sind viele Bewohner von Mila 23 nicht rumänischen, sondern russischen Ursprungs.
Sie stammen von den Lipowanern ab, einer Volksgruppe orthodoxer Christen, die als Anhänger des "wahren alten Glaubens" Ende des 17. Jahrhunderts nach einer Kirchenreform aus Russland ins Delta geflohen. Viele leben dort auch heute noch nach den alten Regeln, in den gleichen blauen Holzhäusern, in der gleichen Armut - Bullerbü auf Hartz IV.
In den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wäre es fast vorbei gewesen mit der Abgeschiedenheit, denn der Diktator Nicolae Ceausescu hatte wenig übrig für die Schönheit des Deltas. Seine Vision von Europas größtem Feuchtgebiet waren eher pragmatischer Natur: Vermeintlich nutzlose Sumpf- und Wasserflächen ließ er eindeichen, trocken legen und schließlich in Äcker verwandeln. Rund ein Fünftel des Deltas, vor allem am nördlichen Chilia-Arm der Donau, wurde so bis 1986 zerstört. Für den Rest erträumte er sich eine industrielle Zukunft.
Im Süden von Crisan sind am Rande des Caraorman-Naturschutzgebietes noch heute die Reste einer gigantischen verfallenen Goldwaschanlage* zu sehen, die nie in Betrieb genommen wurde. Rund ein Zehntel der trocken gelegten Flächen wurden seit 1991 wieder renaturiert, und auch für die restlichen Gebiete sind größtenteils Wiederherstellungsmaßnahmen vorgesehen.
Zum großen Ärger der rumänischen Deltabewohner und Naturschützer bahnt sich jedoch längst das nächste Ungemach an: Im Mai 2004 begann die Ukraine mit dem Bau des Bystroye-Kanals im Norden des Deltas. Aus ukrainischer Sicht ist das eine echte Sparmaßnahme, denn bisher konnten größere Schiffe nur gegen Gebühr über den rumänischen Donauarm Braul Sulina ins Schwarze Meer gelangen.
Für den Wasserhaushalt des Deltas ist das jedoch eine echte Bedrohung, deren Ausmaß sich erst nach Ende der Bauarbeiten erweisen wird. Laut World Wildlife Fund (WWF) drohen Küstenerosion, Verlandung und die Zerstörung vieler Brut- und Nistplätze.
Das schrille Kreischen der Pelikane
Doch noch kann Florin vom Boot aus rechts und links immer wieder auf einzelne Tiere deuten - an Kormoranen, Reihern, Störchen und schillernd-türkisen Eisvögeln vorbei plätschert das Boot langsam über den Bogdaproste-Kanal. Das Ziel sind die Pelikan-Kolonien des Trei-Iezere-Sees.
In Bilderbüchern sind Pelikane immer putzig. In Wirklichkeit sind sie vor allem eines: unglaublich groß. Und zahlreich. Wenn Tausende von Pelikanen schwerfällig ihre zweieinhalb Meter Flügelspannweite ausstrecken, dann geht das nicht leise oder harmonisch vor sich. Unter schrillem Gekreische und Geflatter nehmen die schweren Tiere Anlauf, unter ihnen ein paar Kormorane, die wie Kinder unter Fußball-Hooligans wirken.
Mit ihrer gewichtigen Präsenz sind die Pelikane wohl die spektakulärsten Bewohner des Deltas, und doch nur eine Spezies von vielen: Rund tausend Pflanzenarten wachsen auf dem Territorium, 3500 Tierarten leben hier – die richtige Adresse also für alle, die einen Nerz ohne Knopf und Kragen erleben wollen oder nach Adler, Fischotter, Biber oder Wildkatze suchen.
Doch fernab aller Zahlen ist es die schiere Größe des Deltas, die den Besucher verstummen lässt: Wer auf einem der Seen den Motor ausschaltet, erlebt eine Stille, wie sie im besiedelten Westeuropa einfach nicht mehr existiert.
http://www.spiegel.de/reise/europa/donaudelta-in-rumaenien-bullerbue-auf-hartz-iv-a-574580-2.html
...lauter solche EU-Problemchen,
wie in Irland. ?
-> *Goldwaschanlagen hinterlassen
Quecksilber-verseuchte Böden!
Nie in Betrieb genommen?
...wieder mal in Rumänien gelandet,
wegen der Pferde und Vampire.
& im Angelner Kochbuch steht immer noch nicht ein Rezept für
die Zubereitung von Pferdefleisch,
egal, wie oft ich das durchblätter.