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Erst stirbt der Seehund, dann der Mensch - SYLT
Im Zuge der Einnordung muß das nun vollständig gelesen werden:

07.03.1983

Erst stirbt der Seehund, dann der Mensch

Ölpestgefahr, Fischseuchen, Seehundsterben: Der Niedergang des "Weltwunders Wattenmeer" - neben den Tropenwäldern die ökologisch wichtigste Zone der Erde - ist zum Politikum geworden, das die Wahl in Schleswig-Holstein entscheiden könnte. Zehntausende, von Prinz Philip bis Loki Schmidt, protestieren gegen CDU-Pläne zur Wattzerstörung. Die SPD will den prominentesten Wattenschützer zum Umweltminister machen.

Wenn Gottfried Vauk, Leiter der Vogelwarte auf Helgoland, von den Klippen der roten Insel über die graugrünen Weiten der Nordsee blickt, kommt ihm der ferne deutsche Wald in den Sinn.

"Die Kollegen", sagt der Naturschützer, "die vor 25 Jahren auf die Folgen des Sauren Regens hingewiesen haben, standen genauso allein da wie wir" - wie die kleine Schar jener, die fast ebensolange schon vor einer langsam heraufziehenden Ökokatastrophe in der Deutschen Bucht warnen.

Fachleute wie Vauk, ein weltweit bekannter Seevogelkundler, sind sich gewiß: Die Nation, der gerade erst das ganze Ausmaß des Vegetationssterbens auf dem Festland bewußt zu werden beginnt, muß sich auf eine zweite, ebenso unfaßbare Hiobsbotschaft einrichten - das Ökosystem Nordsee droht umzukippen, zuallererst an seinen sensibelsten Säumen, im Wattenmeer zwischen dem dänischen Esbjerg und dem niederländischen Den Helder.

Und wie Bonns Parteien das Waldsterben erst zur Kenntnis genommen haben, als die Schäden für Laien nicht mehr zu übersehen und durch Fachleute nicht mehr zu beheben waren, findet Vogelschützer Vauk erst seit kurzem Gehör - seit die Malaise im Meer augenfällig geworden ist.

Als Mitte Januar schwere Winterstürme Tausende von ölverschmierten Vogelkadavern - Möwen und Lummen, Alken und Enten - auf die Strände warfen, rückten Reporter und Kamerateams an. Die bewegenden Bilder brachten, so sieht es Vauk, eine Wende im öffentlichen Bewußtsein: "Nun, da die Vögel am Strand liegen und die Omas weinen, da wird man aufmerksam."

Vor zwei Jahren noch war der Bonner Plenarsaal fast leer gewesen, als die Nordsee auf der Tagesordnung stand: Kaum ein Politiker bezeigte Interesse an dem im September 1981 debattierten Gutachten des Umwelt-Sachverständigenrates, der "katastrophale" Folgen der schleichenden See-Vergiftung durch Öl und Müll voraussagte (SPIEGEL-Report 33/1980).

Auf ungläubiges Staunen stießen Wissenschaftler, die - mit demselben apokalyptischen Vokabular wie die Waldexperten - schon vor Jahren mahnten, für die Deutsche Bucht sei es "fünf Minuten vor zwölf" ("Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste"), unter Wasser ticke eine "biologische Zeitbombe" (so der Bremerhavener Meereszoologe Eberhard Drescher).

Doch mittlerweile ist der naive Glaube angeknackst, die gigantischen Selbstreinigungskräfte der Nordsee könnten mit jedwedem Gift fertig werden. Kaum waren, im Januar, die Vogelkadaver auf die Bildschirme geschwemmt worden, da folgten, im Februar, Nachrichten über Treibgut mit so unheimlich anmutenden Namen wie Pyridin und Hydrazin, Acryl- und Chlorosulfonsäure, das faßweise auf Deutschlands Nordseeküste zudriftete.

Als Funk und Fernsehen Mitte letzten Monats auch noch meldeten, nach amtlichen Angaben sei die Zahl der Seehunde an der südlichen Nordseeküste binnen 20 Jahren von 3000 auf 500 gesunken, viele Robben an Vergiftung "qualvoll verendet" (NDR) - da war, nach dem deutschen Wald, das deutsche Meer zum Politikum gediehen.

Sei es, daß Angst vor den Grünen die Etablierten in Bonn lernfähig werden ließ; sei es, daß einige jener Politiker, die sich durch Untätigkeit am Waldsterben mitschuldig gemacht haben, nun ökologisches Gespür entwickeln; sei es auch nur, daß die millionenfachen Bürger-Proteste gegen kanadischen "Robben-Mord" den Wahlstrategen jäh offenbart haben, welches enorme politische Potential auch die bedrohten deutschen Meeressäuger ausmachen könnten - in Bonn jedenfalls wimmelt es neuerdings nur so von Nordseerettern.

Das Kabinett ließ letzten Monat dem Helgoländer Vogelforscher Vauk 300 000 Mark für ein Sofortprogramm zur Ölpest-Forschung bewilligen. Friedrich Zimmermann plädierte am Montag letzter Woche vor der EG-Umweltministerkonferenz in Brüssel für den Aufbau einer europäischen Küstenwacht nach US-Vorbild. Und Außenminister Genscher, wegen seines Einsatzes für kanadische Robben-Babys von "Bild am Sonntag" S.35 bereits im Januar zum "Mann des Monats" befördert, wird dem Titel "Mann des Jahres" kaum mehr ausweichen können: Er fordert die Einberufung einer Konferenz aller Nordsee-Anrainer zur Rettung deutscher Seehunde und deutschen Seegeflügels.

Die höchsten Wellen schlägt die Diskussion im meerumschlungenen Schleswig-Holstein, wo am kommenden Sonntag ein neues Landesparlament gewählt wird. Ministerpräsident Uwe Barschel, dessen CDU im Landtag gerade über eine Stimme Mehrheit verfügt, fordert internationale Sofortprogramme zur Kontrolle von Öltankern und Ölplattformen: "Für die Nordsee wird es höchste Zeit." Während Barschel die Schuldigen am Untergang des Meeres vorwiegend fernab der Waterkant, in internationalen Gewässern, zu orten scheint, sucht die Kieler "Aktionsgemeinschaft Nordseewatten" die Verantwortlichen vor allem im Binnenland - und zwar auch in Barschels Kabinett, dem die Umweltschützer eine "Politik der gespaltenen Zunge" vorwerfen.

Denn Barschels Union forciert seit Jahren, was Naturfreunden als "Mord am Watt" erscheint: die Eindeichung eines 3300 Hektar großen Teils der Nordstrander Bucht und damit, so der Bund für Umwelt und Naturschutz, den Plan, "Deutschlands größtes Naturschutzgebiet zu verstümmeln".

Nachdem in den letzten Jahren bereits 2000 Hektar Wattenmeer einem deutschdänischen Landgewinnungsprojekt bei Tondern zum Opfer gefallen sind, hält, wie 13 Naturschutzverbände in einer gemeinsamen Erklärung feststellten, Schleswig-Holstein einen "traurigen Rekord" in der "Flächenbilanz der Zerstörung" wertvollster Naturgebiete.

Der Streit ums Watt bewegt nicht mehr nur Nordfrieslands Naturschützer. In Sachen Vordeichung haben sich, pro oder kontra, in den letzten Jahren die Spitzen der Bonner Gesellschaft ebenso engagiert wie Europas Hochadel: Während Bundespräsident Karl Carstens und Dänenkönigin Margrethe II. im vorigen Mai den neuen Deich bei Tondern feierten, protestierten die Botanikerin Loki Schmidt, damals die First Lady der Republik, und 55 000 Unterzeichner einer Eingabe gegen die Wattvernichtung. Prinz Philip, Präsident des World Wildlife Fund (WWF), kam im Februar letzten Jahres gar aus London herbeigeflogen, um vor Ort an der Nordstrander Bucht die Deichbau-Gegner zu unterstützen.

Mittlerweile ist die Zukunft des nordfriesischen Wattenmeeres ins Zentrum der schleswig-holsteinischen Landespolitik gerückt.

Nachdem schon vor Jahren der Naturschützer Horst Stern die Meinung propagiert hatte, der damalige Kieler Regierungschef Stoltenberg werde von der Notwendigkeit pfleglichen Umgangs mit dem Wattenmeer "nur mit dem Stimmzettel zu überzeugen sein", hat Barschels sozialdemokratischer Herausforderer Björn Engholm letzten Monat den prominentesten Wattenschützer des Landes zu seinem Schatten-Umweltminister ernannt: den parteilosen Vorsitzenden des Landesnaturschutzverbandes und Kieler Ökologie-Professor Berndt Heydemann, Mitglied der Wattenmeer-Kommission von Prinz Philips WWF.

Mit friesischer Dickschädeligkeit stehen sich im Landtagswahlkampf die Kontrahenten gegenüber: Die Regierungskritiker S.38 - mittlerweile bestärkt durch eine Wattenschutz-Deklaration von 50 holländischen, dänischen und deutschen Naturschutzverbänden mit 7,5 Millionen Mitgliedern - verlangen von ihren Widersachern radikales Umdenken. Küstenschutz müsse nicht zwangsläufig mit Landgewinnung, sprich Wattzerstörung, verbunden sein; statt aufwendiger Vordeichungen genüge oft die Erhöhung vorhandener Bollwerke.

Vor allem die bäuerlichen Deich-Befürworter dagegen möchten nicht von dem bewährten Brauch lassen, Sturmflutsicherung möglichst mit Landnahme zu verbinden. Sie mißtrauen zutiefst zugereisten Gelehrten, die behaupten, das naturbelassene Watt mit seinem grauen Schlick, seinen Gänsen, Enten und Robben sei wertvoller als dem Meer abgerungenes Bauernland, auf dem die dicksten Kartoffeln wachsen. Zwar hat Barschels Umweltminister Günter Flessner gelegentlich ein offenes Ohr für Ökologen. Doch weil der Kieler Naturschutzminister zugleich (und vor allem) Landwirtschaftsminister ist, kann er sich dem Druck der ländlichen Lobby nicht entziehen - zumal die seit Jahren von der Regierung verbissen verteidigten Vorhaben nach dem Eindruck der Naturschützer mittlerweile zu "Prestigeprojekten" gediehen sind.

Mit Wohlgefallen ruhte der Blick des Doppelministers denn auch auf platten Transparenttexten, mit denen nordfriesisches Landvolk Mitte Februar zu einem Wattenschutz-Symposion des Deutschen Naturschutzringes (DNR) in Husum angerückt war: "De Klookschieter hebbt hier nix mehr to söken."

Deichbau-Kritikern wie dem aus München angereisten DNR-Präsidenten Professor Wolfgang Engelhardt hallten rhythmisches Klatschen, Pfiffe und böse Rufe entgegen: "Pfui", "keine Ahnung", "Aufhören". Redner appellierten an friesische Urängste: "De nich will dieken, mutt wieken" - ganz so, als ginge es nicht darum, wie, sondern ob gedeicht werden soll.

Nicht auszuschließen, daß das so aufgeladene Thema Wattenmeer sogar den Ausschlag für den Ausgang der Landtagswahl am Sonntag gibt. Zumindest ist es - nach dem Hamburger Streit um Hafenerweiterung und Elbverschmutzung oder nach den hessischen Auseinandersetzungen um Startbahn- und Straßenbau - nicht das erstemal, daß eine Landesregierung ökologischer Fragen wegen um ihre Mehrheit bangen muß.

Durch den Deich-Streit zwischen CDU-Barschel und SPD-Engholm hat es plötzlich ein Landschaftstyp zu politischer Prominenz gebracht, der vielen Bundesbürgern nur als skurrile Kulisse für Friesenwitze bekannt ist und auch in der Spezialliteratur oft als "graue unwirtliche Einöde" ("Lebensraum Wattenmeer") dargestellt wird. Manch einem sind die glitschigen Zonen zwischen Land und Meer gar so sehr zuwider wie S.41 Frösche, Kröten und anderes amphibisches Getier.

Auch für die meisten der jährlich mehr als fünf Millionen Nordseetouristen ist, von Fano bis Texel, die sandige Seeseite der nord-, ost- und westfriesischen Inseln allemal attraktiver als die wabbelige B-Seite, deren Schlick man sich höchstens mal bei einer von Ortskundigen geführten Halbtagswanderung durch die Zehen glitschen läßt.

Was Wunder, daß "selbst Politiker", wie der WWF klagt, "häufig kaum oder gar nicht informiert" sind über die ökologische Bedeutung der Watten, eines hochgradig unterschätzten Lebensraums.

Der 450 Kilometer lange, durchschnittlich 16 Kilometer breite Wattenstreifen entlang der holländischen, der dänischen und - zur Hälfte - der deutschen Küste macht gerade 1,6 Prozent der gesamten Nordsee-Fläche aus. Wenn dort die Ebbe den Meeresgrund freilegt, entdecken Laien außer vielen Vögeln und vielleicht den letzten Heulern kaum Zeugnisse höheren Lebens.

Dafür vernehmen Besucher, wie vor hundert Jahren der Dichter Theodor Storm, "des gärenden Schlamms geheimnisvollen Ton" - das Saugen und Schmatzen von Schlickkrebsen, Schnecken und Wattwürmern, die allenthalben kleine Häufchen köddeln.

Schwer vorstellbar, daß hier "das Fruchtwasser von Mutter Erde" (Naturfreunde Deutschland) gluckert, daß die vergleichsweise winzigen Watten "neben den tropischen Regenwäldern die für das Überleben der Menschheit wichtigsten Biotope der Welt" sein sollen - was, allen Ernstes, der holländische Naturschutz-Funktionär Karel van der Zwiep behauptet, einer der Sprecher der 35 000 Mitglieder starken, angesehenen "Landelijke Vereniging tot Behoud van de Waddenzee".

Unstrittig ist, daß das Nordseewatt die neben den Hochalpen einzige noch leidlich intakte Großlandschaft Mitteleuropas und weltweit beispiellos ist: Diverse Eigenarten, die zur Bildung von Schlickwatten führen, treffen nirgendwo auf dem Planeten so zusammen wie hier, wo sich unter dem Einfluß der Anziehungskraft von Sonne, Mond und Erde alle Tage zweimal die Genesis wiederholt.

Das Zusammenspiel von mindestens sechs Faktoren, so haben Geographen S.44 herausgefunden, hat das Entstehen der friesischen Watten ermöglicht: ein Tidenhub - die Differenz zwischen Hoch- und Niedrigwasser - von mehreren Metern; sanft abfallender Meeresgrund; flaches Hinterland; vorgelagerte Inseln als Schutz gegen starke Brandung; Zufuhr sandigen Baumaterials aus dem Meer; ein Klima, das die wattspezifische Flora und Fauna begünstigt.

An der amerikanischen Ostküste sind denn auch vor Jahrtausenden statt eines Wattenmeers die Lagunen ähnlichen Bays entstanden. Und läge die Region in den Tropen, gediehen dort wahrscheinlich Mangroven.

So aber wächst Tag für Tag binnen sechs Stunden und ein paar Minuten eine bizarre Landschaft mit riffligen Sand-Ebenen, glänzenden Buckeln aus feinkörnigem Schlick und verzweigten Priel-Tälern aus dem Meer. Und binnen abermals gut sechs Stunden kehrt das Wasser zurück und deckt das eben geschaffene Land wieder zu.

Niemals ist das bei einer Ebbe trocken gefallene Territorium wieder, was es vor der vorausgegangenen Flut gewesen war. Millionen Tonnen Sand-, Schlick- und Schwebstoffpartikel werden hier abgetragen, dort wieder abgesetzt, lassen Buckel und Bänke schrumpfen, bauen Gelände-Formationen neu auf - Erdgeschichte im Zeitraffertempo.

Rund 4000 Tier- und Pflanzenarten, mehr als sonst irgendwo in den gemäßigten Breiten des Atlantiks und seiner Randmeere, leben in der von Ebbe und Flut bestimmten Region. Fast ein Viertel dieser Arten hat sich der Dynamik des Wattenmeeres perfekt angepaßt und kann nur unter dessen speziellen Bedingungen überleben - in einer, wie Zoologe Heydemann sagt, "Arche Noah einzigartigen biogenetischen Materials".

Mehr noch als die Vielfalt der - zum Teil mikroskopisch kleinen - Tier- und Pflanzenarten beeindruckt Fachleute der Individuenreichtum des Wattenmeeres, in das die Gezeiten fortwährend Nährstoffe schwemmen: In einem Fingerhut Watt leben eine Million Algen, auf einem einzigen Quadratmeter bis zu 40 000 Schlickkrebse.

"Kaum ein anderes Ökosystem", rühmt der Deutsche Naturschutzring, "hat eine so große Biomasse aufzuweisen wie das Wattenmeer" - ein Umstand, der das Leben vieler Tierarten in weiten Teilen der nördlichen wie auch der südlichen Halbkugel beeinflußt.

So unvergleichlich nährstoffreich sind die 7300 Quadratkilometer großen Nordsee-Watten, daß Millionen von Vögeln, rund hundert Arten, aus einem vieltausendmal so großen Verbreitungsbereich - von Südafrika bis zur Arktis, von Alaska bis Sibirien - sich dort versammeln, um über die üppig gedeihenden Kräuter, Schnecken, Muscheln, Algen und Würmer herzufallen.

Weil das Watt so vielen gefiederten Exoten als Brut-, Mauser-, Rast- oder Überwinterungsplatz dient, ist die Schlickküste der Nordsee zu manchen Zeiten das vogelreichste Areal der Erde - ein ökologisches Nadelöhr von globaler Bedeutung, dessen Kapazität den Vogelbestand mehrerer Kontinente bestimmt.

Zugleich dient das Watt Myriaden von Fischen als Kinderstube. Ähnlich bedeutsam wie das zentralamerikanische Sargassomeer für die Fortpflanzung der Flußaale Europas und Nordamerikas ist das Watt für viele Nordsee-Fischarten: Die Bestände von Scholle und Seezunge, Sprotte und Hering bis hinauf zur schottischen Küste sind bis zu 80 Prozent auf das friesische Wattenmeer als Aufzuchtzone oder Nahrungsreservoir angewiesen.

Jede Schmälerung der unvermehrbaren Nordsee-Watten durch Landgewinnung oder Industrieansiedlung, jede Verseuchung dieses Lebensraumes durch Öl oder Gift verengt mithin den ohnehin dünnen biologischen Flaschenhals, von dessen Durchlaßvermögen das Überleben Hunderter von Tierarten abhängt - von denen viele, wie die Speisefische, wiederum zu den künftig besonders wichtigen Lebensgrundlagen der Menschheit zählen.

Die Umweltwissenschaftler zweifeln bei alledem nicht daran, daß - wenn überhaupt irgendeine Zone auf der Erde - das Watt vor menschlichen Zugriffen jeglicher Art strikt bewahrt werden müßte. Dennoch geschieht das Gegenteil: "In den Nordseewatten", sagt der holländische Naturschützer van der Zwiep, "konzentrieren sich auf wenigen tausend Quadratkilometern alle Probleme der europäischen Zivilisation."

Zum Beispiel die Meeresverschmutzung: "Täglich" kann es nach dem Urteil der Bonner Umweltsachverständigen auf der Nordsee zum "Unfall eines Öltankers oder eines Chemikalientransporters" kommen. Denn im "German Ocean" (Marine-Mund), dem Gewässer mit der weltweit stärksten Frachter-Frequenz, werden jedes Jahr rund eine halbe Milliarde Tonnen Rohöl und Erdölprodukte transportiert, ereignen sich 50 Prozent aller Kollisionen von Schiffen über 500 Bruttoregistertonnen.

Alle deutschen und mehrere holländische Nordsee-Hafenplätze aber sind nur auf Fahrwassern durchs Wattengebiet zu erreichen. Zum drittgrößten Ölumschlagplatz Mitteleuropas, Wilhelmshaven, müssen sich die Supertanker durch eine Rinne im Watt zwängen, die so eng ist (300 Meter), daß ein Öljumbo (Länge: 350 Meter und mehr), der aufläuft und sich querlegt, zerbrechen muß.

Doch selbst wenn schlagzeilenträchtige Havarien ausbleiben sollten, werden die Nordsee und ihre Watten stetig weiter in die Ölkrise treiben: Tausende Kilometer Pipelines machen das Meer unsicher, dazu 60 Bohrinseln, die schon mal kentern, wie im März 1980 vor Norwegen (123 Tote), oder das Öl nicht S.46 halten können, wie drei Jahre zuvor die Ekofisk-Plattform "Bravo".

Jedes Jahr strömen rund eine Million Tonnen Öl beim - in Küstennähe verbotenen - Reinigen von Tanker-Tanks, aus Häfen, Bohrinseln, Industriebetrieben und Flüssen ins Meer. "Der größte Teil der Ölverschmutzung", meldet Bonns Innenministerium, "entsteht nicht durch die großen Tankerkatastrophen."

Nirgendwo auf der Erde kann Öl mehr Schaden anrichten als im Watt. Hamburger Umweltforscher, die Küstenarten in zehn verschiedene Gefährdungskategorien einteilen, ordnen das Wattenmeer mit seinen Salzwiesen den drei höchsten Gefahrenklassen zu: Eine einzige Havarie vom Kaliber der "Amoco Cadiz"-Katastrophe 1978 vor der Bretagne, und das "Weltwunder Wattenmeer" (Naturschutz-Slogan) wäre nicht mehr der Rede wert.

Denn anders als von bretonischen Klippen läßt sich Öl vom wabbligen Schlick nicht abkratzen. Arbeitskommandos können bei Flut, Spezialschiffe bei Ebbe nicht eingesetzt werden. "Für die Watten", sagt der Hamburger Ökologe Olav Giere, "wäre eine Ölpest der Tod."

Der Ölfilm, fanden Forscher heraus, schädigt sogar die Erbmasse von Wattwürmern, die lange Zeit als besonders widerstandsfähig galten. Für Tauchvögel bedeuten schon pfenniggroße Ölflecken im Gefieder das sichere Ende: Statt weiter zu jagen und zu fressen, putzen sich die befleckten Vögel - bis in den Hungertod.

Andere Auswirkungen einer Ölpest im Watt sind weitgehend unerforscht. Viele der Kohlenwasserstoffverbindungen, aus denen Rohöl besteht, ähneln in ihrer Konstruktion jenen chemischen Signalstoffen (Pheromonen), die noch in kaum meßbarer Verdünnung Fischschwärme zusammenhalten, Paarungsimpulse auslösen oder das Orientierungsvermögen von Krabben wie von Makrelen ausmachen. Wissenschaftler fürchten, daß Ölverseuchung das komplizierte Wanderungs- und Fortpflanzungsverhalten von Tieren auf Dauer irreparabel verändern könnte, womöglich bis zum Artentod.

Derlei Risiken haben Hollands Regierung veranlaßt, in Naturschutzgebieten jegliche Erdölförderung zu verbieten. In Schleswig-Holstein jedoch darf mitten im Watt Öl gepumpt werden: Texaco und Wintershall bohren seit drei Jahren nahe der Vogelinsel Trischen, vor der Elbmündung, in einem Gebiet, in dem im Juli und August 80 Prozent des Weltbestandes der Brandgänse mausern.

In den wattenreichen Mündungsgebieten der großen Flüsse, wo Fischer bisweilen schon ein Drittel ihres Fanges wegen abstoßender Seekrankheiten, sogenannter Himbeer- und Blumenkohlgeschwüre, zurück in die Fluten kippen müssen, konzentrieren sich ökologische Belastungen verschiedener Art.

Von See her treiben mit jeder Flut giftige Abfälle heran, von denen die Nordsee-Anrainerstaaten jährlich bis zu 90 Millionen Tonnen versenken. Vom Festland schwemmen Rhein und Ems, Weser und Elbe samt ihren Nebenflüssen die Kommunal- und Industrieabwässer weiter Teile West-, Mittel- und Osteuropas herbei: Quecksilber aus Schwaben und Jauche aus Prag, Salzlauge aus Thüringen und Arsen aus Basel - eine Kloake, deren Ingredienzen nicht etwa unverzüglich in Richtung Atlantik treiben, sondern unter dem Einfluß der Gezeiten monatelang in der Deutschen Bucht hin und her schwappen und mit ziemlicher Sicherheit großenteils im Watt landen, das sie wie ein Stück Löschpapier aufsaugt.

Zwar mutet, dank der gigantischen Biomasse und des enormen Sauerstoffgehalts des Watt-Wassers, die Filterkraft der Watten schier grenzenlos an; allein das nordfriesische Wattenmeer vereinigt soviel Reinigungsvermögen wie die Kläranlage einer Stadt mit mehreren Millionen Einwohnern. Seit Jahren jedoch mehren sich die Anzeichen dafür, daß das Klärwerk Europas unter der wachsenden Schmutzfracht früher oder später zusammenbrechen wird.

Die Dreckfahne des Rheins läßt sich schon an der gesamten holländischdeutsch-dänischen Wattenmeerküste und weiter hinauf bis in das Skagerrak verfolgen: 170 000 Tonnen Nitrate und Stickstoff, 34 000 Tonnen Metalle, allein 500 Tonnen Cadmium und 80 Tonnen Quecksilber pro Jahr.

Die gewaltigen Mengen an Phosphaten und Stickstoff, meist Mineraldünger von Mitteleuropas Äckern oder Bestandteil von Kommunalabwässern, setzen fatale Kettenreaktionen in Gang. Der Nährstoff-Schub bewirkt, daß sich Plankton und Algen so stark vermehren, daß Plankton- und Algenfresser - Muscheln, Krebse und Kleinfische - mit dem Verzehr nicht mehr nachkommen.

Statt dessen zersetzen Bakterien den Überschuß und konsumieren dabei jenen Sauerstoff, den Wattgetier wie Pierwurm und Miesmuschel, Schlickkrebs und Garnele, Stint und Scholle brauchen - Fischsterben, im Extremfall der biologische Tod des Gewässers, könnte die Folge sein.

Permanent überfordert wird das Ökosystem Wattenmeer auch durch Quecksilber, Cadmium und andere Schwermetalle S.48 sowie durch Chlorkohlenwasserstoffe. Die Chemiegifte, in Lösungs-, Reinigungs-, Holzschutz- und Pflanzenschutzmitteln enthalten und biologisch nicht abbaubar, reichern sich in der Nahrungskette noch an - vom Flußwasser bis zum Fettgewebe von Wirbeltieren, bisweilen um das Hundertmillionenfache.

Schwermetalle und Chemiegifte belasten Miesmuschel-Bestände im deutschen Wattenmeer schon ebenso wie Kormorane und die selten gewordenen Seeschwalben. Bei manchen Vögeln führen hohe Insektizid-Konzentrationen bereits zur Verdünnung der Eischalen. Bei Eissturmvögeln auf Helgoland wurde sogar das in Deutschland seit langem verbotene DDT in Konzentrationen gefunden, die den in Höchstmengenverordnungen festgelegten Wert um das Hundertfache überschreiten.

Chemiegifte, durch die Lebensfähigkeit und Abwehrkräfte von Tieren geschwächt werden, machen Forscher auch für den Rückgang der Schweinswale sowie der Seehunde verantwortlich, vor allem im holländischen Teil des Nordseewatts, in der Nähe der Mündung des besonders stark verseuchten Rheins.

Der Biologe Peter Reijnders vom Staatlichen Institut für Naturforschung auf der Insel Texel sieht eine der Hauptursachen des Robbensterbens im giftigen PCB (polychlorierte Biphenyle). Von diesem Stoff, unter anderem Bestandteil von Plastik-Weichmachern, haben niederländische Seehunde zehnmal soviel im Körper gespeichert wie ihre deutschen und dänischen Artgenossen, deren Geburtenziffer (30 Prozent) noch weit über der in Holland registrierten liegt (16 bis 19 Prozent).

"Bei hohen Konzentrationen von chlorierten Kohlenwasserstoffen", hat der Kieler Meeresforscher Professor Sebastian Gerlach festgestellt, "gerät der Fortpflanzungszyklus in Unordnung." Schon erinnerten niederländische Zeitungen, alarmiert über hohe PCB-Anteile auch in der Muttermilch holländischer Frauen, an ein friesisches Sprichwort: "Erst stirbt der Seehund, dann der Mensch."

Doch sowenig, wie der deutsche Wald allein am Schwefeldioxid krepiert, ruiniert allein PCB die Seehunde. Wie häufig in komplizierten Ökosystemen, bringt - und das macht Abhilfe so schwierig - eine Vielzahl von Faktoren zugleich die biologischen Kreisläufe durcheinander, und oft potenzieren sich die Effekte einzelner Einflüsse. "Bei 40 000 chemischen Stoffen, die unsere Umwelt belasten, können wir", sagt der Zoologe Drescher, "nie sicher sein, wie die Substanzen miteinander reagieren." Das Beispiel des Seehundsterbens demonstriert zudem, daß neben chemischen Schadstoffen eine Fülle anderer Einwirkungen im Spiel ist.

Den Robben, aber auch vielen Wasservögeln wird nicht zuletzt die "ökologische Belastung" (Nordsee-Sachverständige) zum Verhängnis, die das Millionen-Heer von Urlaubern, Campern, Wattwanderern, Jägern und Wassersportlern für die Wattenwelt bedeutet.

"Gerade Areale mit größtem Vogelbestand und größter Tierdichte", moniert der Sachverständigenrat, würden von der Fremdenverkehrswerbung durch "ausführliche Hinweise" als "besondere touristische Ziele" angeboten. "Dank einiger geschäftstüchtiger Veranstalter von Fahrten zu den Seehundbänken", sagt der WWF-Mitarbeiter Rolf Wandschneider, gebe es auf den Ruheplätzen der Meeressäuger in der Saison "nun zwar massenhaft neugierige Menschen, aber keine Seehunde mehr".

Segler, Surfer und Wattenwanderer stören vor allem die scheuen Muttertiere beim Säugen, so daß die Heuler nicht ausreichend Nahrung erhalten. Wenn aber die Speckschicht nicht dick genug ist und den Tieren nicht hinreichend Kälteschutz bietet, versagt der ohnedies durch Schadstoffe belastete Stoffwechsel vollends; die Jungtiere werden anfällig gegenüber Infektionskrankheiten und gehen ein.

Immer häufiger werden bei Seehunden neben Ölschäden nun auch tellergroße, eitrige Entzündungen am Bauch diagnostiziert - Wunden, die bei dem ständig erzwungenen Flucht-Robben auf dem Sand und aufgrund des Kontakts mit verschmutztem Wasser kaum noch S.50 heilen. Zwei Drittel aller Tiere - normale Lebenserwartung: 25 bis 30 Jahre - werden nicht einmal mehr zwölf Monate alt.

Zwar beobachten Wattenkundler seit einigen Jahren, daß sich im Mai, zu Beginn der Touristik-Saison, viele Seehunde aus den stark belasteten Revieren vor der ostfriesischen Küste in ruhigere Zonen absetzen, etwa auf den Großen Knechtsand vor der Wesermündung. Die weiter zum Meer hin gelegenen Ersatzplätze haben jedoch, so WWF-Vorständler Carl-Albrecht von Treuenfels, oft den "Nachteil, daß sie viel später trockenfallen und eher wieder überspült werden als die küstennahen Sände". Folge: Die für die Robben lebensnotwendigen Ruhepausen werden kürzer.

Quellen anhaltender Gefährdung für die Tierwelt der Watten sind, neben dem Gift aus Tankern wie Flüssen und dem Tourismus, vor allem Emissionen und Landschaftsverbrauch durch Hafen- und Industriebauten.

Obwohl schon heute unter anderem vier Raffinerien, sechs Chemiewerke, drei Industriekomplexe mit Schwermetallausstoß, drei Papier- und zwei Aluminiumfabriken, zwei Atommeiler und ein Titanweißwerk allein die westdeutsche Küste säumen, sehen offizielle Planungen für die nächsten Jahrzehnte neue Ketten von giftausscheidenden Industrieanlagen und riesige Häfen an den Unterläufen der Flüsse vor.

Zwar sind futuristische Vorhaben wie ein Tiefwasserhafen samt Raffinerien, Hüttenwerken und einem Straßen- und Eisenbahndamm, den Hamburg bei den Inseln Scharhörn und Neuwerk bauen wollte, mittlerweile vergessen. Auch das Projekt "Medemland" in der Elbmündung, die Aufschüttung von 6000 Hektar Industriegelände, kombiniert mit Damm und Sperrwerk, erscheint nun selbst Wachstumsfetischisten allzu phantastisch.

Lediglich an der gegenwärtig flauen Konjunktur jedoch liegt es,

* daß niedersächsische Pläne für ein "zweites Ruhrgebiet in Ostfriesland" (Protest-Parole), einen 530 Hektar großen Hafen im deutsch-niederländischen Watt des Dollart, noch nicht verwirklicht worden sind,

* daß die weitere Ansiedlung von Industrie in Wilhelmshaven nicht recht vorankommt und

* daß im Eemshaven an der Emsmündung nördlich von Delfzijl, wo die Holländer ein umfangreiches Industriegelände schon erschlossen haben, bislang nur ein Kraftwerk steht.

Immerhin hat Niedersachsen auf eine komplette Eindeichung der ostfriesischen Leybucht verzichtet, der rund 2700 Hektar Wattenmeer zum Opfer gefallen wären, und in Holland wurde das Eindeichungsprojekt "Noord-Friesland Buitendijks", die Umwandlung von 4000 Hektar Wattfläche in Kartoffeläcker, verworfen. Aber zahlreiche nach wie vor geplante kleinere Eingriffe könnten sich schließlich zu einem irreparablen Großschaden summieren.

In der ostfriesischen Leybucht steht nun, als sogenannte kleine Lösung, die Vordeichung "Leyhörn" mit einem Speichersee und einem Schiffahrtskanal für den Fischerhafen Greetsiel an, bei der 1000 Hektar Außendeichsfläche draufgehen werden. Hollands Landwirtschaft läßt auch nicht locker: Nachdem das Projekt "Noord-Friesland Buitendijks" in der 4000-Hektar-Version gestorben ist, sollen dort 2400 Hektar Watt eingedeicht und unter den Pflug genommen werden.

Der Rohstoffreichtum des Nordsee-Grundes beschwört weitere Gefahren herauf. Geplant ist beispielsweise eine kombinierte Gas-Öl-Leitung vom Ekofisk-Bohrfeld S.51 in der Nordsee zum Industriegebiet Eemshaven an der Emsmündung; es wäre die erste Ölpipeline durchs Wattenmeer. Auf Ameland soll Erdgas gewonnen werden. Der Abbau von Titaneisenerz, Monazit, Zirkon und vor allem von Kies im Wattenbereich könnte, wenn eine Förderung sich als wirtschaftlich erweisen sollte, den Niedergang der Landschaft beschleunigen.

Öl soll im Wattenmeer zwar vorerst nur auf der Mittelplate, nahe der Vogelinsel Trischen, gefördert werden. Doch sobald Petroleum wieder einmal knapp wird und die Preise steigen, wird, so ein Branchen-Insider, "auch aus dem Watt der letzte Tropfen herausgequetscht". Das Beispiel Alaska, wo bei der Förderung von Ölschiefer ganze Landstriche umgewühlt wurden, zeige: "Wenn es hart auf hart geht, schert sich keiner mehr um Umweltschutz-Auflagen."

Von unschätzbarem Wert ist das Watt auch für die Militärs der Anliegerstaaten. Zwar wird nicht mehr, wie von 1954 bis 1957, der Große Knechtsand als Bombenabwurfziel der britischen Royal Air Force genutzt. Aber praktisch überall, die Seebäder ausgenommen, jaulen Nato-Jäger im Tiefflug über Vogelwiesen und Seehundbänke.

Kanonen krachen auf einem Bord-Boden-Schießplatz in List auf Sylt wie an der Meldorfer Bucht. Diverse Watt-Fahrwasser sind freigegeben für amphibische Übungen. Am Rysumer Nacken bei Emden wurde Gelände für einen Standortübungsplatz aufgespült. In Holland donnern Düsenjäger übers Watt, um Ziele auf den Inseln Terschelling und Vlieland anzufliegen.

Der größte Schaden freilich wird dem Watt durch Eindeichungen "gigantischen Ausmaßes" (Nordseegutachten) zugefügt. Im Ijsselmeerbereich, wo den Deichbauern eine ganze Heringsrasse zum Opfer fiel, wurden bis heute 166 000 Hektar Neuland gewonnen, im Bereich der Lauwerszee 9000 Hektar vom Wattenmeer abgeschnitten. Bei Nordstrand, wo die Kieler Regierung 3300 Hektar Neuland gewinnen will, steht nun die größte jemals in Nordfriesland verwirklichte Eindeichung an.

In Kürze, "nach Abklingen der Winterstürme", so der vom Wetter diktierte Zeitplan des Kieler Landwirtschaftsministeriums, wird - allen Protesten von Experten zum Trotz - ein Firmenkonsortium das Bollwerk vom Nordzipfel der Insel Nordstrand zur Küste vorantreiben, werden Baggergreifer in den Schlick platschen und Spüler-Rohre ihre Sandfracht auf die Baustelle entleeren. Es ist weniger die Größe der zur Zerstörung anstehenden Wattfläche als vielmehr ihre Qualität, die Naturschützer zu Zehntausenden protestieren läßt.

Rund 1000 der zur Eindeichung vorgesehenen 3300 Hektar nämlich zählen zum seltensten und empfindlichsten Teil der Nordseewatten, den sogenannten Salzwiesen. Auf diesen Flächen - insgesamt nur rund 20 000 Hektar, gerade 2,5 Prozent des Wattenmeerraumes - haben sich Sand, Schlick und Schwebstoffe so hoch abgelagert, daß sie nur noch bei Sturmfluten überspült werden.

Die Salzwiesen, von den Friesen Heller oder Groden genannt, sind die Zone mit der höchsten Bioproduktion im überaus fruchtbaren Wattenmeer. Auf diesen zweieinhalb Hundertstel der Fläche sind mehr als die Hälfte der 4000 Pflanzen- und Tierarten des Gesamtareals beheimatet. Zur Zugzeit konzentrieren sich dort bis zu drei Millionen Vögel, bisweilen 600 auf einem einzigen Hektar - Hitchcock läßt grüßen.

In dieser einzigartigen Zone verzehren vegetarisch lebende Ringelgänse aus der sibirischen Tundra Strandnelken und Bottenbinsen. Die seltene, auf der ganzen Erde nur noch mit ein paar tausend Exemplaren vorkommende Weißwangengans fällt auf der Reise von oder zu den Brutplätzen auf Grönland und Spitzbergen in die Salzwiesen ein. Und auch der Kampfläufer hat dort Zuflucht gefunden, nachdem seine Heimatreviere, die Feuchtgebiete des Binnenlandes, durch Trockenlegung zerstört wurden.

Weil die Salzwiesen nach Ansicht von Biologen schon heute nur noch die Fläche eines ökologischen Minimalareals S.53 umfassen, weil obendrein nach holländischen Untersuchungen einige Zugvogelarten jedes Jahr dasselbe Stückchen Salzwiese aufsuchen, kann mithin jede weitere Vernichtung solcher Wattflächen dazu führen, den Weltbestand vieler Vögel deutlich zu dezimieren.

Den Gedanken an eine Ausweisung von "Ersatzbiotopen" als Ausgleich für zerstörte Salzwiesen verwerfen Fachleute als baren Unsinn: Wattflächen, argumentieren sie, ließen sich nun einmal hinter Deichen nicht erhalten.

So könnte der Weltbestand mancher Arten rasch an den Rand des Existenzminimums geraten, wenn nach den Eindeichungen bei Nordstrand und Tondern Vögel aus dem hohen Norden, die bis zu zwei Drittel des Jahres am Watt zubringen, die vertrauten Gebiete nicht wiederfinden, wenn beispielsweise Zehntausende von Gänsen, die sich im Watt Fett für den Nonstop-Flug nach Norwegen anfuttern, ihre angestammten Nahrungsgründe missen müssen.

"Die zivilisierte Welt", kommentierte schon vor Jahren der Naturschützer Horst Stern die Eindeichungen, "wird uns fragen, mit welchem moralischem Recht wir die Bewohner des armen italienischen Südens als Mörder europäischer Singvogelarten anklagen." Allein mit der geplanten Nordstrander Eindeichung werden auf einen Schlag 25 Prozent sämtlicher nordfriesischen Salzwiesen zerstört - ein Lebensraumverlust, durch den auch Dutzende von Pflanzengattungen akut vom Aussterben bedroht sind.

"Das Verschwinden einer Salzpflanzenart", sagt der Kieler Heydemann, "zieht im Durchschnitt den Ausfall von acht bis 16 Tierarten nach sich." Für über 400 pflanzenverzehrende Tierarten, haben Biologen errechnet, entfällt aufgrund solcher "Laufmascheneffekte" die Nahrungsbasis, wenn Wattwiesen durch einen Deich von der Salzwasserzufuhr aus dem Meer abgeschnitten werden.

Ausrottung droht einer Fülle von faunistischen Wunderwerken - Wattengetier, das sich dem Doppelleben über wie unter dem Meeresspiegel durch merkwürdige Konstruktionen angepaßt hat. Da gibt es Käfer, denen eine Luftblase vor dem Bauch als Schwimmkissen dient, Seepocken, die bei Sauerstoffmangel ihren Herzschlag zu drosseln vermögen, und Würmer, die sich durch Röhrenbau vor tödlichen Salzkrusten schützen.

Wo beispielsweise die schon selten gewordene, fast mannshohe blaue Strandaster ausfällt, sterben 25 pflanzenverzehrende wirbellose Tiere aus, die auf diese Aster angewiesen sind, und mit ihnen, so Heydemann, "möglicherweise 25 parasitische und räuberische Arten, die wiederum von diesen Tieren abhängen". Womöglich würde "also ein halbes Hundert Tierarten fortgewischt" - vom gesamten Planeten.

Mit den extrem angepaßten 50 Pflanzen der Salzwiesen sind Spezies bedroht, aus denen der Mensch schon früh einige seiner wichtigsten Kulturpflanzen züchten konnte. Von der Wilden Watt-Rübe etwa stammen Runkel- und Zuckerrübe ab. Und alle Kohlarten, vom Blumenkohl bis zum Kohlrabi, sind, so Heydemann, aus dem Meerkohl entwickelt worden, "der heute nur noch wild auf der Insel Helgoland vorkommt". "Darum", erklärt der Biologe, "besteht ja auch die Sorge der Ökologen, daß sich der Mensch durch Vernichten der biogenetischen Vielfalt die Nahrungsversorgung für seine Zukunft verbaut."

Keineswegs allein durch Deiche. Denn an der gesamten 450 Kilometer langen Wattenküste, auch abseits der spektakulären Landgewinnungsprojekte, sind die letzten Salzwiesen in Gefahr. Sofern sie nicht längst schon der Mastvieh- oder Kartoffelproduktion zum Opfer gefallen sind, werden sie (wie etwa auf Spiekeroog oder im ostfriesischen Westeraccumersiel) durch den Bau von Sportboothäfen dezimiert. Vielerorts sind die empfindlichen Zonen konzessionierten oder wilden Camping- und Bootsliegeplätzen zum Opfer gefallen.

Es sei zu befürchten, warnt der WWF, "daß durch viele, für sich allein kleine Eingriffe und Einzelmaßnahmen" der Lebensraum Wattenmeer letztlich "zerstört" werde - wenn nicht eine "großflächige und über Landesgrenzen hinweggreifende koordinierte Planung", bei der "alle fremden Nutzungsansprüche sehr sorgfältig geprüft" werden müßten, dies verhindere.

Notwendig sei, so der WWF, eine Art "Internationalpark Wattenmeer". Auch 50 europäische Umweltverbände appellierten letztes Jahr an die Regierungen in Bonn, Den Haag und Kopenhagen, sich S.55 auf ein "internationales Schutzstatut" für das Watt zu einigen. WWF-Wandschneider: "Wir warten darauf, daß gehandelt wird."

Als Vorbilder in Sachen Wattenschutz könnten die Niederländer dienen, die in Umweltfragen durchweg sensibler reagieren als ihre östlichen Nachbarn. Ein staatliches Überwachungssystem, dem auch die Königliche Luftwaffe angehört, liefert jährlich zwei- bis dreihundert Meldungen, etwa über Segler, die den Seehundsbänken zu nahe kommen, oder über Meeresverschmutzer. Rund hundert Ölsünder können von den fliegenden Holländern jedes Jahr überführt und bestraft werden.

Seit 1980 ist in Holland ein staatlicher "Generalplan Schützt das Wattenmeer" in Kraft. Betreuung und Kontrolle des Wattenmeeres - 80 Prozent sind dort Naturschutzgebiet - werden danach vom Staat koordiniert. Drohen Kollisionen zwischen Ökonomie und Ökologie, treten durch den Generalplan vorgeschriebene Kommissionen zusammen, um die Interessen abzuwägen.

Verhindert wurden auf diese Weise unter anderem der Bau einer Kohlevergasungsanlage im Industriegebiet Eemshaven, eine Erdgas-Bohrung im Watt zwischen Harlingen und der Insel Terschelling und die Einpolderung von 4000 Hektar Wattenmeer in Höhe der Insel Ameland für Agrar-Zwecke. "Saatkartoffeln sind schön", begrüßte der damalige Premierminister Andries van Agt die Ablehnung des Deichbau-Antrags, "aber das Wattenmeer ist schöner."

Holländische und dänische Umweltschützer - für die außer Zweifel steht, daß das gesamte Nordsee-Watt eine einzige ökologische Einheit bildet - werben seit langem für wirksame internationale Schutz-Vereinbarungen. Doch bei deutsch-dänisch-niederländischen Ministerkonferenzen wurden einschlägige Vorstöße, so der holländische Wattenexperte van der Zwiep, "von der Bundesrepublik abgelehnt, weil Niedersachsen und besonders Schleswig-Holstein alles verwässern wollen". Auch Zoologe Heydemann beklagt, daß die Kieler Regierung im internationalen Wattenschutz bislang stets als "Gefährder oder Bremser" fungiert habe.

Ohne den Widerstand der Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein, die sich gegen jeden Eingriff in ihre landesplanerischen Kompetenzen wehren, würde es in der Tat längst eine internationale Konvention über das Wattenmeer, ein deutsch-dänisch-niederländisches Schutzkonzept und, als Aufsichts- und Exekutivbehörde, ein Internationales Wattenmeerbüro geben.

Entsprechende von der Internationalen Naturschutzunion (IUCN) ausgearbeitete Pläne hatte die niederländische Regierung bereits 1978 in eine erste Wattenmeerkonferenz der Anrainerstaaten eingebracht. Weil die schleswig-holsteinische Regierung jedoch in einem Telex an Bonn warnte, es werde keiner internationalen Vereinbarung zustimmen, die über eine gegenseitige Information hinausgehe, konnte die Bundesregierung auch auf der dritten Wattenmeerkonferenz Ende letzten Jahres in Kopenhagen, so die Hamburger Umweltbehörde, abermals "nur den kleinsten gemeinsamen Nenner vertreten".

Nicht nur, daß die Kieler Bremser noch immer die üppigsten Eindeichungen planen; nicht nur, daß Schleswig-Holstein es als einziger Anrainer zuläßt, daß im Wattenmeer Öl gefördert wird: Anders als die Niederlande oder Niedersachsen hat Kiel noch kein einziges Stück Wattenmeer der 1971 verabschiedeten internationalen "Ramsar-Konvention" unterstellt, die jene Zonen schützen soll, die für Zugvögel überlebenswichtig sind.

Zwar hat Schleswig-Holstein ebenso wie Niedersachsen vor der Wahl erklärt, teils bereits unter Naturschutz stehende Wattenflächen zum "Nationalpark" erklären zu wollen. Für die heimische Landwirtschaft, für Tourismus und Fischerei allerdings, verkündeten die Regierungen, werde es dadurch kaum einschneidende Änderungen geben.

Durch die Nationalpark-Ankündigung, argwöhnte der Bund für Umwelt und Naturschutz, werde lediglich "der Bevölkerung Sand in die Augen gestreut". Solange weiterhin wichtige Wattflächen durch Eindeichung vernichtet würden, sei ein Nationalpark "kaum mehr als ein Alibi".

Wie die Kieler Regierung es wirklich mit dem Naturschutz hält, zeigt sich am Beispiel der sibirischen Ringelgänse, deren natürlicher Lebensraum im Watt während der letzten Jahre immer enger geworden ist und die sich nun über die Nutzwiesen der Hallig-Bauern hermachen. Obwohl die Landwirte dafür vom Staat Entschädigung kassieren, konnten sie sich in Kiel mit der Forderung durchsetzen, daß ein Kontingent Ringelgänse, die außerhalb der Jagdzeit im November und Dezember allenthalben streng geschützt sind, zum Abschuß freigegeben wird - "Wildwest im Wattenmeer", wie die Aktionsgemeinschaft Nordsee-Watten klagt.

Fraglich auch, ob sich wirksamer Wattenmeer-Schutz durchsetzen läßt gegen die CDU-Klientel in den norddeutschen Wirtschaftsverbänden. Die Zahl der unter Naturschutz gestellten und dem Fremdenverkehr entzogenen Flächen sei, protestierte bereits die Industrie- und Handelskammer Flensburg, schon jetzt "besorgniserregend" groß. Der Deutsche Industrie- und Handelstag verlangte Anfang des Jahres eine "aktive" Ansiedlungspolitik gerade an der deutschen Waterkant; die Wattenküsten dürften "keine Tabuzonen" sein.

Und vielerorten an der Nordsee formieren sich neuerdings Grüppchen wie der "Bürgerverein zur Erhaltung der Natur- und Erholungsgebiete am Jadebusen e. V." Diese Küstenmenschen wollen gegen eine "Bevormundung" durch Natur- und Vogelschützer kämpfen. Ihr Schlachtruf: "Hände weg vom Nationalpark Wattenmeer".

Der holländische Naturschützer van der Zwiep, der für den Herbst mit Gleichgesinnten ein "Internationales Wassertribunal" gegen die Vergiftung der Nordseezuflüsse plant, hat trotz aller Widerstände nicht die Zuversicht aufgegeben, daß dieser "unendlich wichtige Lebensraum" noch zu retten ist: "Wenn es uns Naturschützern nicht gelingt, in Sachen Wattenmeer etwas zustande zu bringen", sinniert er, "dann wird es uns nirgendwo in der Welt gelingen."

 
DER SPIEGEL 10/1983
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