Gerissene Schafe - Wolf auf Beutezug in Schleswig?
Isegrim in Schleswig: Autofahrer berichten von einer ungewöhnlichen nächtlichen Begegnung. Eine Schäferin beklagt gerissene Tiere auf dem Gelände der ehemaligen Zuckerfabrik.
Kevin Dolan und seine Mitfahrer mochten kaum glauben, was sie da im Scheinwerferkegel die Straße überqueren sahen: „Erst dachten wir, das ist ein Fuchs. Aber dann waren wir uns sicher, dass das ein Wolf sein muss“, erzählt der 44-Jährige. Der Borener war am Freitagabend vor einer Woche mit seiner Frau Silke und drei Freunden auf dem Weg nach Neuberend, als nördlich von Schleswig plötzlich das zottelige Tier mit den langen Beinen über die Panzerstraße trottete und ihn zum starken Abbremsen zwang. „Der Wolf guckte sich noch einmal um. Dann war er verschwunden.“ Dolan meldete den Vorfall an die ehrenamtlichen Wolfsbetreuer im Wildpark Eekholt (Kreis Segeberg).
Isegrim in Schleswig – dafür gibt es in jüngster Zeit noch weitere Hinweise. So hält es Schäferin Dr. Uta Wree (42) für möglich, dass zwei ihrer Bocklämmer Anfang Februar auf dem Gelände der ehemaligen Zuckerfabrik von einem Canis lupus – so der lateinische Name des Wolfes – gerissen wurden. „Die Schafskadaver waren wie seziert, auch große Knochen durchgebissen. Das macht kein Hund“, sagt die promovierte Veterinärin. Auch hätten die mächtigen Spuren im Schnee auf einen Wolf hingedeutet. Leider hätte die von ihr benachrichtigte Wolfsbeauftragte erst einen Tag später kommen können, um die Kadaver zu inspizieren und die Identität des Raubtieres festzustellen. Wree: „Wenn ein Riss älter als 24 Stunden ist, funktioniert der Gentest aber nicht mehr.“ Auch seien die Pfotenabdrücke nicht mehr deutlich erkennbar gewesen.
Die Struxdorferin Uta Wree ist seit 20 Jahren Schäferin, hat an verschiedenen Orten von Kappeln bis nach Nordfriesland insgesamt 800 Schafe laufen. „In den vergangenen zwölf Monaten habe ich so viele und so merkwürdige Schafskadaver wie nie zuvor gesehen.“ Im Frühjahr und Herbst seien auf dem Gelände des Solarparks in Eggebek mehrere ihrer Tiere gerissen worden. „Der Gentest konnte bei einem toten Lamm einen Wolf als Verursacher nicht ausschließen, und das Bild des Risses war absolut typisch dafür“, sagt Wree. Zumindest für dieses eine Lamm habe sie daher eine Entschädigung bekommen.
Tatsache ist, dass sich sich die Wölfe aus Ostdeutschland kommend in Schleswig-Holstein zunehmend ausbreiten. „Wir bekommen fast jeden zweiten Tag Hinweise“, sagt Wolf-Gunthram Freiherr von Schenck, Geschäftsführer des Wildparks Eekholt und zugleich einer von 36 ausgebildeten Wolfsbetreuern im Land. In Dänemark gebe es derzeit nachweislich drei Wölfe. Sie alle müssen auf ihrem Weg dorthin Schleswig-Holstein durchquert haben.
Da würde es wenig verwundern, wenn ein solcher Durchzügler nun in Schleswig Station gemacht haben sollte. Die Beweisführung gestaltet sich jedoch schwierig. Den Hinweis von Kevin Dolan habe er erst einige Tage später bekommen, beklagt von Schenck. „Da finden Sie keine Fußspuren mehr.“ Und damit fehlten Anhaltspunkte, um Fotofallen aufstellen zu können.
Die Schleswiger Jäger halten zwar intensiv Ausschau nach einem Wolf, sind aber skeptisch, dass tatsächlich ein Exemplar durch ihr Stadtrevier streunt. Jagdpächter Alfons Lucht geht eher davon aus, dass Isegrims Verwandte die Schafe auf dem Nordzucker-Gelände gerissen haben: „Wir haben in der Stadt große Probleme mit wildernden Hunden.“
Uta Wree kann ihre Schafe kaum schützen. Die Koppeln permanent mit dafür vorgesehenen Elektronetzen einzufrieden, sei für sie nicht praktikabel, sagt sie – zumal sie mit ihren Herden etwa alle zwei Wochen weiterzieht. Bald werden die ersten Lämmer geboren. Die Schafe vom Areal der Zuckerfabrik grasen inzwischen in Moldenit – und könnten auch dort zur Beute werden. Wölfe durchstreifen große Reviere, legen auf der Suche nach Nahrung bis zu 60 Kilometer am Stück zurück.
Und Kevin Dolan? Dem kann sein tierisches Erlebnis keiner mehr nehmen. „Das mit dem Wolf – das war einfach irre.“
Autor: ac